Wer rettet die Demokratie?

Der deutsche Politikbetrieb muss sich endlich für die junge Generation öffnen, notfalls per Quotenregelung. Davon profitierten alle.

Fällt uns das eigentlich noch auf?  Wann immer über wichtige politische Entscheidungen berichtet wird, sind fast ausschließlich Menschen jenseits der 50 zu sehen. Nur wenige Mitglieder des Bundestages sind jünger.

Selbst wenn Themen bearbeitet werden, mit denen die junge Generation zweifellos besser vertraut ist, wird sie nicht eingebunden. Wen schickte man beispielsweise als Digitalkommissar nach Brüssel? Den damals 61-jährigen Günther Oettinger, der mit dem Themengebiet ganz offensichtlich wenig vertraut war. Schon sein erster Auftritt im EU-Parlament offenbarte, dass er wenig Ahnung von der Digitalisierung hatte, wusste er doch nicht einmal, wofür die sogenannte Cloud eigentlich gut ist. Welche Regeln im Internet gelten, entscheiden vielfach Menschen, für die das alles Neuland ist.

Aber es geht nicht nur um Kompetenz, sondern auch um Betroffenheit. Beim Klimawandel etwa muss ausgehandelt werden, wie lebenswert unser Planet in 60 Jahren noch sein kann. Das betrifft uns junge Generation direkt, die Entscheidungsträger/innen von heute eher nicht mehr. Ebenso verhält es sich mit dem Rentensystem. Wird das nur noch für die Altersgenossen der heute Regierenden aufrechterhalten? Oder stellen unsere Abgeordneten auch sicher, dass meine Generation sich auf die Rente verlassen kann, wenn wir sie brauchen: nach 2050?

Wie ist es außerdem um moderne Formen der Arbeit bestellt? Selbstständigkeit, Jobsharing, Teilzeit, Homeoffice. Die junge Generation ist ein Gradmesser für gesellschaftliche Veränderungen. Hier zeichnet sich bereits ab, wie wir in Zukunft zusammen arbeiten, leben und lieben werden. Was in Unternehmen und privaten Beziehungen schon längst praktiziert wird, wird von den Politiker/innen, wenn überhaupt, mit Skepsis. Der sich verändernden Lebensrealität wird nur bedingt Rechnung getragen. Es müssen aber endlich Rahmenbedingungen geschaffen werden, die auch neue Lebensentwürfe unterstützen, statt sie zu behindern. Das gilt zum Beispiel für moderne Patchworkfamilien und gleichgeschlechtliche Partnerschaften, die vom Gesetzgeber bisher nicht ausreichend anerkannt werden. Die Politik hinkt dem Zeitgeist hinterher. Das gilt auch für Möglichkeiten zur politischen Partizipation. Obwohl die Jungen sich gesellschaftlich vielseitig engagieren, finden nur Wenige den Weg in eine Partei. Es fehlt ein zeitgemäßes Angebot.

Generationengerechtigkeit

Es ist zwar begrüßenswert, dass manche/r Abgeordnete/r auf Twitter oder Facebook einen Gedankenaustausch befördert. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Parteipolitik immer noch so organisiert ist wie vor Jahrzehnten. Wenn Familie oder Beruf viel Zeit oder Mobilität erfordern, bleibt kaum eine Möglichkeit, um sich in thematische Diskussionen einzubringen, trotz gesteigerter Vernetzung und erleichterter Kommunikation. Engagement jedoch muss auch abseits vom Ortsverein flexibel möglich sein. Die Parteien hätten längst virtuelle Räume für einen demokratischen Austausch schaffen können. Das wäre eine von vielen Möglichkeiten, um bundespolitische Debatten endlich wieder stärker für die junge Generation zu öffnen.

Aktuell sind die Jungen im etablierten Parteiensystem nur wenig präsent. Im Bundestag ist nicht einmal jede/r achtzehnte/r Abgeordnete/r unter 35 Jahre. In der Gesamtbevölkerung ist es jede/r Dritte. Damit ist die junge Generation im Bundestag mehr als sechsfach unterrepräsentiert.

Statt nur 35 müssten 224 junge Abgeordnete im Bundestag sitzen. Auch, weil davon die gesamte Gesellschaft profitieren würde. Die Jungen sind nicht nur versierter im Umgang mit neuen Arbeitsformen und neuen Technologien. Sie legen auch mehr Wert auf Nachhaltigkeit und wissen, dass globale Herausforderungen nur in Kooperation mit anderen Staaten bewältigt werden können. Sie sind international besser vernetzt und sprechen mehr Sprachen als jede Generation zuvor.

Junge Abgeordnete sind außerdem Vorbilder und Ansprechpartner für die Teens und Twens. Sie können die Jungen besser erreichen und einbinden – und zwar auf ihren Kanälen, in ihrer Sprache, auf Augenhöhe. Auf diesem Wege interessieren sie vielleicht auch wieder jene für Politik, die das Geschehen derzeit nur teilnahmslos beobachten oder gar nicht verfolgen.

Eine stärkere Einbindung der Jungen ist gut für alle, vor allem für die Demokratie. Der beste Beweis dafür sind die beiden wichtigsten politischen Entscheidungen des letzten Jahres. Das Referendum für den Brexit und die Wahl Trumps. Es waren die Jüngeren, die sich in beiden Fällen mit einer deutlichen Mehrheit gegen die populistische Position und für die internationale Zusammenarbeit entschieden haben.

Die notwendige Verjüngung der Politik ist leider kein Selbstläufer. Damit sich etwas ändert, fordern wir eine Jugendquote. Wenn im Herbst das Parlament für die nächste Legislaturperiode zusammentritt, dann sollen mindestens 20% der Abgeordneten weniger als 35 Jahre alt sein. Wir fordern alle Parteien auf, sich zu dieser Jugendquote zu bekennen.

Mit einer 20%-Quote würden wir zwar noch nicht die oben genannten 224 Abgeordneten erreichen, sondern nur 126, aber es wäre ein Anfang und ein richtiges Signal im Bundestagswahljahr. Ein Signal an die Jugend einerseits, das sagt: Dies ist auch Eure Demokratie, sie geht alle an, macht mit und bringt Euch ein. Andererseits wäre es auch ein Signal in die Welt, das bedeutet: wir wollen keine rückwärtsgewandten Ideologien, wir wollen die Veränderung und den Fortschritt gestalten, und zwar mit allen.

 

Mitarbeit: Milosz Matuschek, Jurist und Publizist.