Wie die Globalisierung unsere Gesellschaft entzweit

Auf der einen Seite stehen die Befürworter eines liberalen Internationalismus. Auf der anderen Seite die Anhänger eines protektionistischen Nationalismus. So beschreibt Bernd Ulrich den großen Konflikt unserer Zeit.[1] Wie die meisten seiner Kolleginnen und Kollegen argumentiert er für eine weltoffene Gesellschaft.

Dagegen werden jene Bürger, denen der freie Waren- und Personenverkehr zu weit geht, die sich für Parteien mit protektionistischer Agenda aussprechen, oft als rückwärtsgewandt oder uninformiert diskreditiert. Es herrscht Unverständnis über die politische Präferenz derer, die sich für einen Staat aussprechen, der Souveränität von der internationalen Ebene zurückholt und Grenzen eher schließt als öffnet.

Dass manche Menschen sich aber für ein solches Szenario aussprechen, ist nicht Folge Ihrer Unkenntnis. Zahlreiche wissenschaftliche Studien zeigen, dass dies ein normales Verhaltensmuster ist. Die Zufriedenheit von Menschen hängt mehr von ihrem relativen als von ihrem absoluten Wohlstand ab. Das heißt, dass man mit seinem VW Passat sehr glücklich ist, wenn die Nachbarn alle Polo fahren, dass die Zufriedenheit aber sinkt, wenn in der Nachbarschaft vermehrt Porsche vor den Garagen parken.[2]

Und die Globalisierung hat zwar allen Bürgern Wohlstandsgewinne und vor allem mehr Komfort (volkswirtschaftlich: Nutzenzuwächse) beschert, aber nicht alle haben in gleichem Maße profitiert. Die Reichen sind deutlich reicher geworden, und die weniger Privilegierten haben nur wenig hinzugewonnen. Gerade erst hat eine Studie gezeigt, dass in Deutschland mittlerweile 624.000 Menschen nur von ihren Kapiteleinkünften leben.[3] Relativ gesehen geht es den Leuten am unteren Ende der Gesellschaft also merklich schlechter als noch vor 10 oder 20 Jahren. Und vor diesem Hintergrund ist es nicht rückwärtsgewandt oder dumm, sondern ein ganz normales Verhaltensmuster, dass sich die betroffenen Bürger gegen eine intensivere Globalisierung aussprechen.

Das erklärt u.a. die massenhafte Begeisterung für die Abschottungspolitik Donald Trumps, den Aufstieg der AfD und des Front National. Und ebenso führt Wolfgang Streeck auch den Brexit darauf zurück, dass die EU „das Interesse der kleinen Leute an politischer Kontrolle des kapitalistischen Fortschritts nicht einlösen konnte.“[4]

Wenn wir den sozialen Kitt unserer Gesellschaften nicht gänzlich erodieren lassen wollen, dann gilt es, die Wohlstandszugewinne, die uns die Globalisierung gebracht hat und bringen wird, gerechter unter allen zu verteilen.

Diese Einsicht hat sich mittlerweile sogar in Regierungskreisen durchgesetzt, wie Mark Schieritz in der aktuellen ZEIT beschreibt. Der drohende Erfolg der Protektionisten verunsichert die Wirtschaftselite und bewegt die Staatsführungen der G20 dazu, ein gerechteres Weltwirtschaftssystem zu entwerfen.[5]

[1] Die ZEIT 28/2016
[2] Clark, A. E.; Frijters, P.; Shields, M. A. (2008). Relative Income, Happiness, and Utility: An Explanation for the Easterlin Paradox and Other Puzzles. Journal of Economic Literature, 46(1), pp. 95-144. / Luttmer, Erzo F. P. (2005). Neighbors As Negatives: Relative Earnings And Well-Being. Quarterly Journal of Economics, 120(3), pp. 963-1002. / Solnick, S.; Hemenway, D. (1998). Is more always better? A survey on positional concerns. Journal of Economic Behavior and Organization, 37(3), pp. 373-383.
[3] http://www.welt.de/finanzen/article157095047/Immer-mehr-Reiche-muessen-nicht-mehr-arbeiten.html
[4] Wolfgang Streeck in der ZEIT 28/2016
[5] Die ZEIT 32/2016